Die etwa zehn jährige Ruhephase nahm ein jähes Ende, als Matthias mir eines Tages eröffnete, dass er gerne eine Damenjeans haben möchte. Wie immer versuchte ich es erst mit plausiblen Gegenargumenten: Der Schnitt ist ganz anders, da passt du nicht rein. Doch ich stieß auf taube Ohren und auch auf meine Frage, was er denn damit wolle, erhielt ich keine zufriedenstellende Antwort. Notgedrungen sah ich mich gezwungen, ihn anders zu überzeugen und so nahm ich die Peinlichkeit auf mich und fuhr mit ihm shoppen. Natürlich passte keine der Hosen, die ich ihm mit hochrotem Kopf in die Kabine brachte. So traten wir die Heimfahrt ohne Hose an und ich dankte Gott, dass dieser Kelch an mir vorbei gegangen war, ohne irgendetwas zu hinterfragen. Doch der scheinbare Sieg ließ mich nur ein paar Monate triumphieren, was er dann in die Schlacht warf, riss mir die Füße weg: Er wollte ein Polokleid und Sandalen! Die Diskussionen eskalierten. „Du hast sie doch nicht mehr alle, DAS kannst du draußen NIE anziehen!“ schrie ich ihn an, während mir zeitgleich bewusst wurde, dass meine Ausredenschubladen definitiv nicht die benötigte Auswahl parat hielten und ich endlich meine Augen Millimeter für Millimeter öffnen musste. In meiner Verzweiflung habe ich schon selbst angefangen, den gewünschten Dress zu suchen, nur um das Deckmäntelchen der Tarnung so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Bis mir in einer erneuten Debatte endgültig der Kragen platzte und ich ihn anfuhr: „Denk doch bitte mal darüber nach, WARUM du das machst!?“ Dieser Satz brachte den Stein ins Rollen. Es kehrte kurzzeitig gespenstige Ruhe im Haus ein, während dessen Matthias sich überlegte, was er wirklich wollte, brauchte und wie er es in seinen Alltag integrieren konnte. Mein Abwehrpanzer bekam auch leichte Risse, ich war überzeugt, dass ich sein Anderssein im stillen Kämmerlein akzeptieren konnte. Redete mir ein, dass die Kinder ja nichts mitbekommen mussten, ich war ja schon versiert im Schönreden. Während einer erneut aufgeflammten Kleiderdiskussion platzte es dann endlich aus Matthias heraus: „Vielleicht will ich lieber eine Frau sein!“. Ich wollte alles hören, nur nicht die Wahrheit. Vor mir tat sich ein Loch auf, denn schlagartig wurde mir klar, was das bedeuten konnte. Egal wie es ausgehen würde, es war absolut lebensverändert. Für ihn, für mich, für die Kinder. Ich verfiel in eine Art Schockzustand, stand morgens auf, ging zur Arbeit, erledigte diese mechanisch, immer begleitet von der Panik, dass man mir die neue Erkenntnis auf der Stirn ablesen könne. Ich dachte über die vergangenen gemeinsamen Jahre nach und erinnerte mich an eine Bemerkung einer Freundin, die Matthias Stimmungsschwankungen einmal als manisch depressiv bezeichnete. Jetzt kam es mir allerdings so vor, als hätte der MANN einmal im Monat schlichterdings seine Tage. Alle vier Wochen war er ein paar Tage lang unerträglich, dann wurde er wieder zum allerliebsten Kerl. Typisch Frau! Bedingt durch meinen Halbtagsjob hatte ich ein bisschen Freizeit. Die nutzte ich intensiv, um mich im Internet schlau zu machen. Ich recherchierte über Transvestiten, Cross-Dresser, Transsexuelle und alles, was damit zusammenhing. Die ersten beiden Varianten gefielen mir sehr gut, passten in mein Verdrängungsdenken. Verwandelten sich da doch die Protagonisten nur zeitweise, blieben den Rest der Zeit MÄNNER. Ich begann mir wieder einzureden, dass alles halb so schlimm sei, mein Mann nur einen Fetisch für Frauenkleider hätte. In den langen Gesprächen, die auf das nachdenkliche Schweigen folgte, bestätigte mich Matthias auch in diesen Gedanken. Auch er hatte sich schlau gemacht und wies eine Hormonbehandlung vehement von sich: „Ich tue doch meinem Körper nichts an!“. Beruhigt konnte ich ihm da ja versichern, dass es nicht transsexuell sei, sondern lediglich den intensiven Wunsch hege, seine innere Weiblichkeit auszuleben. Wir konnten uns allerdings noch nicht überwinden, die Kinder einzuweihen. Zwar hatten sie in den letzten Monaten sehr viel mitgemacht hatten. All die Streitereien, deren Ursache ihnen ja nicht bekannt war, all die emotionalen Hochs und Tiefs von Mama und Papa. Doch wir waren uns sicher, dass Matthias seine weiblichen Züge nur in ihrer Abwesenheit ausleben würde. Wie sehr wir uns darin täuschten, sollte uns ein paar Monate später mit großem Schreck in die Glieder fahren. Auch andere ließen wir erst einmal nicht hinter unsere zugezogenen Vorhänge schauen. Matthias war fürs Erste zufrieden und ich hatte meine Harmonie, meinen Frieden wieder. Auch wenn ich mich immer wieder fragen musste, ob ich es nicht schon vorher bemerkt hatte. Doch getreu dem Motto „Lass mich in Ruhe und mach“ hatte ich immer wieder ja zu den kleinen oder großen Veränderungen gesagt, mich der Schubladenausreden bedient und irgendwie meinen Frieden erhalten. Das ständige Streiten und Diskutieren war so anstrengend und ich betete inbrünstig, dass es jetzt ein Ende hätte. Doch nicht jedes Gebet wird erhört, dass lernte ich kurz danach
To be continued soon …